Gerade hat die UEFA Fußball Europameisterschaft begonnen, ein sportliches Großereignis! Im Eröffnungsspiel standen sich Italien und die Türkei in einem spektakulären, aber ungleichen Spiel gegenüber (Endstand 3:0 für Italien). Durch die Brille des Chinakenners war das Ergebnis nicht einmal zentral. Stattdessen rückte ein anderer Aspekt in den Fokus des Interesses: Schon seit Jahren sieht man bei internationalen Sportereignissen chinesische Schriftzüge auf Werbetafeln und Bannern am Spielfeldrand. Chinas Firmen präsentieren sich mit ihrer Werbung auf der internationalen Bühne einem breiten Publikum. Doch was für Botschaften senden sie eigentlich und an wen sind sie gerichtet?
Bereits aus der Premier League kennt man chinesische Sponsorenwerbung. Auf den Jerseys von Newcastle United prangt seit 2017 das Logo des chinesischen Wettanbieters FUN88 (乐天堂). An den Banden laufen immer wieder Werbebotschaften mit chinesischen Schriftzeichen durchs Bild. Und auch die Sendezeiten haben sich in der Premier League sukzessive nach vorne verschoben, damit die chinesischen Zuschauer die Spiele live verfolgen können. China ist ein riesiger Markt mit hunderten Millionen fußballbegeisterten Fans – nicht erst seitdem Präsident Xi Jinping den Sport zur Staatssache erklärt und das ambitionierte Ziel ausgerufen hat, bis 2050 Fußballweltmeister zu werden. Es lohnt sich also wirtschaftlich zu kooperieren.
Hisense und AntChain als chinesische Sponsoren der Fußball EM
Bei dieser EM nun sind es vor allem die aufstrebenden und die bereits etablierten chinesischen Hi Tech-Firmen, die sich die beliebten Werbeplätze in den Stadien und rund um das Ereignis herum leisten können. Hisense, Alipay und der Smartphonehersteller Vivo befinden sich unter den 10 größten Sponsoren des Turniers. Auch Tiktok und dessen chinesische Version Douyin (抖音) sind mit von der Partie. Die AntChain (蚂蚁链), ein chinesischer Anbieter der Blockchain Technologie, hat vor kurzem eine fünfjährige Partnerschaft mit der UEFA unterschrieben und ist jetzt der offizielle globale Blockchain Partner der UEFA Europameisterschaft 2021.
Doch welche Markenbotschaften senden die chinesischen Firmen und für wen sind sie bestimmt? Hierzu ist es zunächst interessant festzustellen, dass die Werbung häufig ausschließlich auf Chinesisch erscheint. Im Falle von Hisense kommt sie inhaltlich unspektakulär daher. Hier heißt es: „[Willst Du] einen Fernseher kaufen? Wähle U7“ (买电视,选U7). U7 ist das neuste, ultradünne Flatscreen-Modell mit 4K Fähigkeit des chinesischen Herstellers, das man natürlich sehr gerne einem fußballliebenden Publikum anbieten möchte – und sei es nur in China. So weit so gut.
„Technologie erleichtert Vertrauen“
Eine andere Markenbotschaft, jene der AntChain (Tochterfirma der AntGroup, die wiederum Mutterfirma von Alibaba ist), bringt den aufmerksamen Zuschauer schon etwas mehr zum Nachdenken. Hier heißt es „Technologie macht Vertrauen noch einfacher“, bzw. „Technologie erleichtert Vertrauen“ (科技让信任更简单). Es ist ein Werbespruch, den AntChain bereits seit längerer Zeit verwendet. Dieser befindet sich auch prominent auf der Website des Technologieunternehmens. Doch warum ist die Platzierung der Botschaft beim Eröffnungsspiel der Fußball EM überhaupt der Rede wert?
Seit einigen Wochen nehmen die politischen Spannungen zwischen der EU und China gefühlt immer weiter zu. Das geplante Investitionsabkommen zwischen der EU und China wurde auf Eis gelegt, gegenseitige Sanktionen aufrechterhalten. Während des G7 Gipfeltreffens stand der Umgang mit Chinas Initiative der Neuen Seidenstraße explizit zur Debatte. Der vielbeschworene Kampf der Systeme scheint mittlerweile nicht mehr nur noch leere Rhetorik zu sein, sondern reale (politische und wirtschaftliche) Konsequenzen nach sich zu ziehen.
Dies lässt den chinainteressierten Zuschauer in Europa naturgemäß bei den Werbebotschaften genauer hinsehen. Schließlich geht es darum, wie sich China auf der internationalen Fußballbühne präsentiert und welche Signale gesendet werden. Was sagt uns die Nachricht „Technologie erleichtert Vertrauen“ einer chinesischen Firma während der Fußball EM?
Zum einen ist es eine sehr selbstbewusste Botschaft. Sie lautet übersetzt so viel wie: „Wir haben die Technologie, die Vertrauen ermöglicht und wir präsentieren sie über die chinesischen Grenzen hinaus. Es ist der richtige Weg.“ Hier schwingt der Anspruch mit, global gesehen neuer technologischer Vorreiter zu sein – noch vor den USA. Der Text zeigt uns aber auch einen Einblick in die derzeitige chinesische Art zu denken, das chinesische Mindset. Es steck darin auch folgende Botschaft an die Welt: „Mit der richtigen Technologie lassen sich die Probleme der Gegenwart lösen – sowohl ökologische als auch ökonomische und (!) gesellschaftliche (nämlich fehlendes Vertrauen zu kompensieren).“
Das europäische Verhältnis hierzu ist zumindest ambivalent. Zum einen gilt es zu bedenken, dass die Blockchain Technologie gerade deshalb notwendig wurde, weil sich Menschen im anonymen digitalen Raum eben nicht vertrauen. Denn über die dezentralen Netzwerke ist es möglich, jede Transaktion lückenlos nachzuvollziehen und zu überprüfen. Gesellschaftlich setzt man hierzulande auf die Eigenverantwortung des Einzelnen. Dem chinesischen Bemühen, Vertrauen durch Technologie zu erzeugen steht man eher zurückhaltend-skeptisch gegenüber.
Zum anderen mag sich der ein oder andere an die Vorgeschichte rund um den geplatzten Börsengang und Jack Ma, Gründer der AntGroup, erinnern. Im November 2020 wurde der Börsengang der AntGroup kurzfristig gestoppt und Jack Ma tauchte für eine Zeit unter. Kritiker vermuteten, dass sein gespaltenes Verhältnis zur chinesischen Führung dafür mitverantwortlich gewesen sein könnte. Welche Rolle spielte hier Vertrauen? Ob die Botschaft während der EM nun Teil einer Wiedergutmachungsaktion in China ist?
Chinas neue Rolle in der Welt
Natürlich ist die Betonung von Vertrauen wichtig in Zeiten zunehmender Spannungen. Viele Probleme können nur gelöst werden, wenn in Zukunft von vornherein wieder mehr Vertrauen zwischen europäischen und chinesischen Partnern herrscht. Dass China seinen Platz im Diskurs um die Deutungshoheit in Bezug auf Schlüsseltechnologien neuerdings international stark macht, ist verständlich und nachvollziehbar. Wir werden uns daran gewöhnen müssen. Denn – auch das zeigt die Botschaft – die Zeiten des Abwartens Chinas auf internationaler Bühne sind vorbei.
Dass wir uns als Europäer damit auseinandersetzen müssen, ist ebenso klar. Doch anstatt die Verhärtung der Fronten zu verstärken, gilt es, genauer zu verstehen, welchen Hintergrund Botschaften aus China haben und wie sie – in verschiedenen Kontexten – zu verstehen sind.
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